Winnetou bitte noch mehr canceln

„Rassismus-Vorwürfe linker Aktivisten im Netz“ (bild.de) haben angeblich dazu geführt, dass ein Buch zu einem Film über den jungen „Winnetou“ vom Verlag nicht ausgeliefert wird. Dieser „Woke-Wahnsinn“ (bild.de) bedroht offenbar die deutsche Kulturnation als Ganzes, der unvermeidliche Knabe Hubertus fühlt sich sogar an die „Zeit des Stalinismus“ erinnert, „als es Winnetou-Bücher nur noch unter der Hand gab“.

Die Abneigung der DDR gegen Karl May war keiner der schlechtesten Züge dieses Staates, schrieb der lebenslange Außenseiter May doch erzählerisch dürftige und inhaltlich verquaste Endlos-Romane, deren Held stets verblüffende Ähnlichkeiten aufwies mit den Idealvorstellungen, die dieser Autor von sich entwarf, aber nie erfüllen konnte: Ein brutaler Schläger, dem trotzdem alle Herzen zufliegen, ein Deutscher in exotischer Umgebung, der die Werte des Kaiserreichs gegenüber Apachen, Kurden und Albanern vertritt. Auch wenn Arno Schmidt auf einige gelungenere Leistungen des Vielschreibers („Im Reiche des silbernen Löwen“, „Ardistan und Dschinnistan“ ) hingewiesen hat, sind die dumpfen Wildwestgeschichten rund um Winnetou nicht zuletzt durch die albernen Pseudo-Western aus der BRD-Filmwerkstatt der 1960er Jahre immer noch irgendwie populär. Eine so beharrlich erfolgreiche Rezeptionsgeschichte ist kein geringer Erfolg – wer liest heute noch Gustav Freytag?

Nur geht es bei den zurückgezogenen Büchern nicht um Werke von Karl May, sondern um die von Autoren des Jahres 2022. Die könnten vielleicht wissen, dass es im „Wilden Westen“ nicht um die Kämpfe guter Weißer und guter „Indianer“ gegen böse Weiße und böse „Indianer“ ging, sondern darum, die Ureinwohner zu vertreiben, zu töten und zu betrügen. Wenn sie das nicht wissen oder schreiben wollen, sind ihre Bücher kaum wert gedruckt zu werden. Dass der Verlag dies nun ähnlich sieht, hat mit Fragen einer obskuren „cancel culture“ weniger zu tun als mit Überlegungen zum Marketing.

Wer im Falle May ein nationales Kulturgut bedroht sieht, sollte sich erst einmal damit befassen, dass der „Karl May Verlag“ über Jahrzehnte hinweg das Werk dieses Autors fälschte, verkürzte und anderweitig bearbeitete, was aber niemanden interessierte, weil es nicht zur Hetze gegen „linke Aktivisten“ taugte.

Sollten die erreichen, dass nicht nur Spin-Off-Jugendbücher über Winnetou, sondern ein Großteil der mayschen opera in Vergessenheit gerät, wäre schon einiges gewonnen.

Ich habe gesprochen.

PS: Und zwar auf einer österreichischen Plattform, auf der sich auch der eine oder andere Fascho tummelte, der erwartungsgemäß gegen den „Woke-Wahnsinn“ geiferte. Liberalere Kommentatorinnen verteidigten „Winnetou“ als Kindheitshelden, wobei sie sich in der Regel auf die Filme oder irgendwelche Theateradaptionen und nicht auf die ohnehin häufig bearbeiteten Romane bezogen. Und auch Bild legte nach und ließ den Heinz Buschkowsky von der Leine, der forderte: „Die Ampel muss Winnetou retten – wir brauchen den Winnetou-Gipfel im Kanzleramt.“ Was nicht gar. Setzte sich hier noch, verständlicherweise, der eine Orient-Experte und Bestsellerautor für einen toten Kollegen ein, meldete sich Andreas Scheuer mit der ihm eigenen Kenntnislosigkeit aus den ewigen Jagdgründen der politischen Bedeutungslosigkeit zu Wort: „Winnetou soll Winnetou bleiben und Karl May einfach Karl May“ – dass das nie der Fall war, sollte ein Politiker aus dem Land des Karl-May-Verlags eigentlich wissen. Aber das ist wohl im Falle Scheuer, wie eigentlich alles, zu viel verlangt.

PPS: Wenn aber die kriegslüsternen Journalisten bei Springer spitzkriegen, dass May es am Ende seines Lebens mit dem Pazifismus hielt, werden sie ihre Meinung bestimmt bald ändern.

PPPS: Und zu fragen wäre ja auch, ob die Winnetouobsession der BRD nicht auch damit zu tun hatte, dass man gerne über versöhnende Momente zwischen Opfern und Tätern eines Völkermordes las.

Ein Kommentar zu „Winnetou bitte noch mehr canceln

  1. Quotenqueen mag mich auch nicht. Der Meinungsthread ist zu. Tapfer im Nirgendwo veröffentlicht meine E-Mail auch nicht.

    (…)

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