Danke, Katar!

Der Zustand, kein Zweifel, der Welt ist finster: In der Ukraine zeigt sich, dass dem Imperialismus, wenn ihm nichts mehr einfällt, immerhin noch der Krieg einfällt, der in diesem Fall nicht nur mit finsteren faschistischen Symbolen geführt wird, sondern auch von außen mit Waffen und Durchhalteparolen gefüttert wird – für welche Seite das gilt, mag jede*r für sich selbst entscheiden.

Die Türkei greift zur gleichen Zeit Kurdengebiete an, und keinen interessiert‘s. Kurden sind es auch, die den Aufstand im Iran vorantreiben, der aber dem westlichen Teil der Welt außer Gratislob für die Mutigen nur ein müdes Lächeln abverlangt: Man weiß ja nie, ob man es sich mit den Mullahs verderben sollte. Zumal eine mehr oder weniger dezente Faschisierung auch für Europa ein womöglich taugliches Krisenbewältigungsmodell sein könnte. Die FAZ tastet sich schon vor und nennt das Bündnis von Berlusconi, Salvini und Naziblondie Meloni eine „Mitte-Rechts-Koalition“, und während man sich noch fragt, wo denn da die Mitte sei, paktiert die CDU Thüringens aus irgendeinem albernen Anlass („Gendern“) mit der AfD. Ein Testlauf offenbar, und für diese Verlobung musste sich die Braut Höcke gar nicht einmal hübsch machen, man hat sie sich schön gesoffen.

Von Thüringen schnell wieder in die Welt: der geht es schlecht und weil das so ist, legen sich mutige Jugendliche mit Autofahrern und Polizisten an und werden dafür von Pressmaulhelden als „Terroristen“ bezeichnet. Drunter tun sie‘s nicht, denn die Scheußlichkeit der Weltverhältnisse muss vom Schreibtischstuhl aus ebenso tapfer wie wütend verteidigt werden.

Reden wir nicht von den Armen in Deutschland, von denen zwei Millionen anstehen müssen, um altbackene Brötchen und welken Salat geschenkt zu bekommen, reden wir nicht von den Reichen in Deutschland, deren Vermögen ungebremst wächst, reden wir lieber von den ganz Reichen, der Herrscherclique in Katar, die sich den Traum eines jeden rich kid erfüllt hat: einmal die besten Fußballer der Welt für sich spielen zu lassen. Und warum? Na, weil sie es können. Doofe Frage.

Dass sie selbst nach den bescheidenen Maßstäben Gerhard Schröders keine lupenreinen Demokraten sind – geschenkt, wen hat das 1978 in Argentinien gestört? Dass sie dem Westen Doppelmoral vorwerfen – so richtig wie billig, Doppelmoral zählt zur ideologischen Grundausstattung des Westens, der beklagt, dass beim Bau der Stadien Tausende Wanderarbeiter ums Leben kamen und noch viel mehr ausgebeutet wurden. Abgesehen davon, dass westliche – auch deutsche – Architekturbüros am Bau dieser Stadien kräftig verdienten, geht man anscheinend davon aus, dass alle andere Waren – Smartphones, Kleidung etc. – unter größtmöglichem Arbeitsschutz und mit angemessener Bezahlung produziert wird. Gerne wird Katar auch vorgeworfen, dass die Stadien nach der WM kaum genutzt werden. Ja und? Schon einmal was von Keynesianismus gehört? Und ist es nicht immer noch besser, dass die rich kids sich ein paar Protzbauten in den Sand setzen, als dass für den Bau und Unterhalt von WM-Stadien – WM 2006, „Sommermärchen“, you remember? – klamme deutsche Kommunen, in deren Schulen die Fenster schimmeln, blechen müssen?

Nein, man muss Katar dankbar sein, dass dieses Land mit der WM auch dem Letzten die abgrundtiefe Obszönität der Weltverhältnisse bewies. Der Fußball, das Spiel, das den Proletariern gehört, das Spiel, das bei aller Regelhaftigkeit immer Raum lässt für Anarchie und dem faschistischen Ideal des heldenhaften Einzelkämpfers die Schönheit des Kollektivs entgegensetzt, dieses Spiel befindet sich in den Händen geistesgestörter megalomanischer Geschäftsleute und ihrer durch und durch korrupten Zuarbeiter. Was liegt also näher, als es daraus zu befreien? Aus einem Fußballspiel ist 1969 schon einmal ein Krieg entstanden, warum nicht 2022 eine Revolution? Schlechter als jetzt (s.oben) kann es eh nicht werden. Danke, Katar, dass du uns das vor Augen geführt hast.

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4 Kommentare zu „Danke, Katar!

  1. Mein lieber Herr! Bzw. mein lieber Herr Schweighäuser – was für eine Abrechnung! Einfach groß und klug und sehr gut – seien Sie bedankt dafür.
    Und mein herzlicher Fluch all denen, die sich für Linke halten bzw. ausgeben und ihre Empörung auf irgendwelchen Kontaktschuldpipifax richten statt auf die echten Verbrechen, die Sie so wortmächtig geißeln. Bitte weitermachen, Sie tun meiner alten wunden Seele gut!

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    1. Lieber Herr Sokolowsky, ich danke sehr für Ihre warmen Worte. Im Zusammenhang mit dem Text rauschte mir auch die Formulierung von den „abortschüsselartigen Weltverhältnissen“ durch den Kopf, wusste aber nicht, wo im weitverzweigten Werk Ror Wolfs er zu finden sein könnte: In einem, dem ersten „Tranchirer“-Band? Können Sie, als Experte, mir auf die Sprünge helfen? Herzmerci (um einen anderen großen Dichter zu zitieren) vorab, Thomas Schweighäuser

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      1. Sie haben beim ersten Raten sofort goldrichtig gelegen, Kompliment! Zur Belohnung zitiere ich jetzt den ganzen, sehr langen Satz aus den „Allgemeine(n) Vorausbemerkungen und Winke(n) zum Gebrauch des vorliegenden Werkes“, nämlich „Raoul Tranchirers vielseitiger großer Ratschläger für alle Fälle der Welt“ (1983) –:
        „Ich verzichte dabei auf die Fragwürdigkeiten auf dem Gebiet der Naturbeobachtung, auf alle pikanten Seitenblicke und schlüpfrigen Abbildungen, soweit sie nicht meinen Kampf gegen die täglichen Ausschweifungen unterstützen: die schadenbringenden Schnapskneipen, die Schundkunst und Luderschriftstellerei, die abortschüsselhaften Weltverhältnisse in diesem Zeitalter der Schwellungen und Verstopfungen, der Ernährungsverbrechen und Violinengefahren, der kalten Wahrheiten, der falschen Richtungen und der falschen Ratschläge, die in so reichem Maße die Welt verdunkeln.“
        Und ich muß jetzt erst einmal Luft holen.

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  2. PS
    Und so blöd, wie‘s von Anfang an war, ging es auch zu Ende. Zwar war das Endspiel spannend und phasenweise von einiger spielerischer Brillanz, doch kaum war‘s abgepfiffen, das Spektakel, inszenierten sich die Ausrichter auf eine sehr peinliche Art und Weise selbst und folgten den Weltmeistern auf dem Laufsteg, als wären sie Kletten – aber nein, der Vergleich hinkt, selbst Kletten hätten sich längst aus dem Staub gemacht.
    Und natürlich ist kein Fußballspiel der Welt das Leben des 14jährigen wert, der überfahren wurde, nachdem er mit anderen Jugendlichen in Montpellier eine französische Fahne von einem Auto abgerissen hatte. Der Täter soll immer noch flüchtig sein, auf einem Video sieht man, dass es kein „Unfall“ gewesen ist, wie in der Presse berichtet wird, sondern wohl eine sehr bewusste Tat.
    Dass sich andernorts – vgl. den Beitrag von belltower-news (https://www.belltower.news/hass-der-hooligans-franzoesische-rechtsextreme-greifen-marokkanische-fans-an-144403/) rechte Hooligans verabredeten, um Jagd auf marokkanische Fans zu machen, blieb in der Presse unerwähnt, stattdessen wetterte einer der „profiliertesten Extremismus-Experten in Deutschland“ auf bild.de gegen Marokkaner und ihren „Neid gegenüber den Ländern , in denen sie vielleicht physisch leben – aber emotional nie angekommen sind!“ Sehr emotional angekommen in der deutschen Volksgemeinschaft ist dagegen Beatrix von Storch, AfD, die der französischen Nationalmannschaft in einem Tweet vom 15.12. „herzlich“ dankt, weil „uns (wer immer das sein mag, TS) die nächste marokkanische Siegesfeier erspart“ bleibe. Am selben Tag bescheinigte ein anderer AfDler, Georg Padzerski, den marokkanischen Fans, „Machtdemonstrationen“ veranstaltet zu haben, „getrieben von einer tiefen Verachtung für den Westen“. Ihre Integration werde nicht gelingen. Die Integration von Herrn Padzerski, der als Profilbild auf Twitter ein trashiges Selbstporträt auf seinem Motorrad gewählt hat, ins westliche Wertesystem halte ich im übrigen nicht für gänzlich gelungen, twitterte er doch am 11.12. – erneut mit Bezug zu den marokkanischen Fans – die „katastrophale Migrationspolitik“ habe „Mord und Totschlag“ zur Folge, verschwieg dann aber, da dieser totgeschlagene Tote von den Falschen totgeschlagen wurde, den Tod des 14jährigen drei Tage später.
    (Und müßig zu sagen, dass das dieselbe Klientel ist, die sich – one love, Knien gegen Rassismus etc. – vehement gegen eine „Politisierung des Fußballs“ ausspricht.)

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